Freitag, 29. Februar 2008

Class Lukas 3. Patenbrief Feb. 08

Claas Lukas Suermann
Manila/Philippinen Patenbrief Nr. 3
Februar 2008

Freiheit (für die angeketteten Füße)

Der Fisch liegt in den Fangnetzen,
in Asche geworfen, gehäutet.
Vom ungeschickten Trunkenbold ins Adobo* gestückelt,
sind Kopf und Schwanz zum festlichen Hundefutter bereitet.

Die angeketteten Füße sind von einer Axt zerschlagen,
gezwungen eiserne Absätze zu tragen,
wegen der fehlenden Schläge des verständnislosen Schusters,
wenn auch unbesohlt, laufen sie durch die Dornen.

Das einzige Licht: Die Träne einer Kerze,
durchnässt in Decken, die in Strömen triefen.
Die Wärme schwindet vor lauter Atem
und das Feuer schwächet in der Kälte.

Verloren in den Armen der Leitpfosten,
der kaputten Lastwagen und zersplitterten Spiegel,
Abgase von einem schrotten Auto einatmend,
für die Nacht bestimmt.

Die scheinenden Teller brechen.
Keine Bindung kann die Wunden schließen.
Keine Säuberung kann die Risse unsichtbar machen.
Ungebraucht werden die Teller in ihrem Bruch,
obwohl immer noch nützlich,
durch silberne Platten ersetzt.

Die Hand reicht vom Grabmal zum Himmel
und vergeltendes Licht in das trockene Land,
wo die Sonne nach dem Biest sucht!


Edgar N. Maligaya N96P - 1910

* Adobo ist ein philippinisches Fleischgericht
Liebe Familie, Freunde und Bekannte,

Liebe Paten,

genauso überraschend und unvorbereitet wie für Sie/euch nun dieses Gedicht am Anfang meines dritten Patenbriefes steht, ohne jegliche Anrede und Einführung ins Thema, hatte es auch damals vor elf Jahren den Autor des Gedichts getroffen, als ihn die Polizei unschuldig von der Straße gefasst hatte. Edgar N. Maligaya wurde damals zur Todesstrafe verurteilt. Er ist Insasse im Muntinlupa Gefängnis und die Nummer hinter seinem Namen seine „neue Identität“ (s. Gedicht). Mit dem Gedicht drückt er seine Empfindungen und sein Leid aus. Es ist eine Art Klagelied eines Opfers der hiesigen Justiz. Nach einer kurzen und allgemeinen Einleitung, in der ich unsere Apostolate im Muntinlupa- und im Navotas-Gefängnis vorstelle, werde ich mehr von Edgars Schicksal berichten und auch einige Stellen aus dem Gedicht näher erläutern.

Einmal im Monat besuchen wir die Gefangenen im Muntinlupa- und im Navotas-Gefängnis. Während Muntinlupa für schwere Fälle bestimmt ist, dient das Navotas-Gefängnis eher der Untersuchungshaft und dem Vollzug kleinerer Strafen. Diese Apostolate sind für uns von enormer Wichtigkeit, da wir förmlich die Freude unserer Freunde mitfühlen, wenn wir zu Besuch kommen. Sie haben die Möglichkeit, sich uns zu öffnen und ihr Leid zu klagen, aber vor allem ein paar Stunden einfacher Liebe, in denen sie mal vergessen können, dass sie im Gefängnis sind.

Das Muntinlupa-Gefängnis ist ein sehr bekanntes auf den Philippinen. Es ist ein Männergefängnis und hat einen Minimum- und einen Maximum-Trakt. Wir gehen in den Maximum-Trakt. Nur solche, die zum Tode oder zu Lebenslang verurteilt wurden, sind hier untergebracht. Unter ihnen auch Edgar und seine Freunde Benni, Abdul, Philipp und Ronald. Am meisten geschockt und zugleich beeindruckt hat mich das Schicksal und der Fall Edgars. Auf dem Weg zur Kirche wurde Edgar unter einem Vorwand von der Polizei ins Auto gebeten. Sie sagten ihm, dass er bei der Aufklärung eines Falles behilflich sein könnte. Aus Respekt folgte er den Polizisten, wenn auch unwissend und verwirrt, zum Auto. Zu spät! Edgar war in die Falle der Polizei getappt. Auf dem Weg durch die Dunkelheit (vgl.4.Strophe d. Gedichts) führte ihn die Polizei in ein abgelegenes Hotelzimmer, in dem er mittels einer Plastiktüte über dem Kopf gefoltert wurde, bis er einen Mord gestand, den er nie begangen hatte, Geschweige denn, dass er auch nur ein kleinstes Detail des Mordfalles kannte. Innerhalb eines Monats bekam er sein schriftliches Urteil: TODESSTRAFE. Im Gedicht drückt er seine Geschichte durch viele Bilder und Symbole aus. Er selbst personifiziert sich als unschuldigen Fisch, der durch polizeiliche Willkür als falsche Zutat in das Fleischgericht geworfen wurde. Ohne Chance auf ein faires Gerichtsverfahren (fehlenden Schläge des verständnislosen Schusters) wurde er zu den anderen Gefangenen in eine überfüllte Zelle (Wärme schwindet vor lauter Atem) gebracht. Alles was er sich als junger energischer Mensch (scheinenden Teller,(...) immer noch nützlich) vorgenommen hatte, war auf einmal wie verpufft. Umso schöner ist heute mit anzusehen, dass Edgar N. Maligaya sich aus vollkommender Glaubensüberzeugung ganz in Gottes Hände fallen lässt (Die Hand reicht vom Grabmal zum Himmel). Unglaublich schön, wie ich finde! Als ich das letzte Mal mit ihm sprach, fragte er mich plötzlich nach einem Zettel und schrieb mir Folgendes auf:

Eines Tages an meinem Gefängnisfenster kam ein Spatz zu mir und ich fragte ihn: „Wie fühlt sich dein Leben in Freiheit an?“ Er schüttelte den Kopf und antwortete mir: „Ich dachte, ich sei der Gefangene. Du hast immerhin die Möglichkeit zu beten und nur das Gebet kann dich befreien!“

Dies schreibt ein unschuldig Gefangener, der nur durch die vorübergehende Nicht-Vollstreckung der Todesstrafe noch am Leben ist (im Jahre 2001 wurde durch die Präsidentin Gloria Arroyo die Verabreichung der Todesspritze bis auf weiteres untersagt). Darüber hinaus sprudelt Edgar vor Lebensfreude und ist stolzer Familienvater mehrerer Kinder. Sein ältester Sohn ist 11 Jahre alt und seine jüngste Tochter 2 Jahre alt. Allesamt MADE IN PRISON wie er lächelnd bekennt. Frau und Kinder haben nämlich nicht nur die Möglichkeit zu einem normalen Besuch bei Tage, sondern können auch von Samstag auf Sonntag über Nacht bleiben. So war es Edgar dann möglich, während seiner Zeit in Muntinlupa für Nachwuchs zu sorgen.

Zusammen mit Benni leitet Edgar eine Gebetsgruppe. Die beiden sind ein gutes Team und scheinen nahezu unzertrennlich. Im Gegensatz zu Edgar ist Benni aufgrund eines von ihm begangenen Verbrechens in Muntinlupa. Zur Zeit als Benni beim großen Stromversorger Meralco arbeitete, entführte er zusammen mit einigen Arbeitskollegen jemanden aus der Chefetage. Unglücklicherweise tötete einer seiner Komplizen den Herrn, sodass auch Benni wegen gemeinschaftlichem Mord zum Tode verurteilt wurde. Heute allerdings bereut er die Entführung und ist nach nahezu 13 Jahren hinter Gittern ein guter Christ, der die guten Werte gerne an seine Mitinsassen in Form der Gebetsgruppe weitergeben möchte. Neben ihm ist in unserer monatlichen Runde noch Abdul. Ein Palästinenser und Moslem, der als Student auf die Philippinen gekommen war. Als er wieder zurück wollte, herrschte Krieg in seiner Heimat. Er konnte damals weder Kontakt zu seinen Eltern aufnehmen, die seine Geldquelle waren, noch nach Hause fliegen. Aus Geldnot hatte er sich zu einer Entführung entschlossen. Er entführte einen reichen Mann. Nach einigen Tagen ergriff ihn die Polizei und er landete im so schön genannten „Bureau of Corrections“ (Büro der Korrekturen). Die Geschichte von Philipp, der auch jedes Mal froh ist, wenn wir zu Besuch kommen, hatte ich bereits in meinem letzten Patenbrief geschildert. Sein guter Freund Ronald vervollständigt unsere gesellige Runde. Er schreibt für Philipp, der Analphabet ist, die Briefe, die wir an Sally weitergeben. Ronald sitzt ein, weil er eine Frau vergewaltigt hat.

Was auch immer in der Vergangenheit dieser Leute geschehen ist und wie brutal sie auch waren, ist für uns weniger von Interesse. Wir schauen vielmehr in die Gegenwart und geben Zeugnis, dass diese Menschen sich zum Positivem verändert haben. Sie alle hatten schon genug Zeit, um über ihr Leben und ihre Untaten nachzudenken. Edgar, Benni, Abdul, Philipp und Ronald sind bereit ihr Leben in Gottes Hände zu legen. Sie akzeptieren die Umstände und streben nach einem Leben in Glauben und Frieden. Sie leben mit 12000 weiteren Gefangenen an einem Ort, der nur für 4000 Menschen gedacht war. 210 Wächter, die sich drei Schichten teilen, könnten einem Aufstand im Ernstfall nicht Herr werden. Die Gruppe, mit der wir unseren monatlichen Besuch verbringen, sagt, dass niemand im Sinn hat auszubrechen. Das gesamte Gefängnis wird nämlich nicht wirklich von Wächtern, sondern von Banden regiert. Diese organisieren alles im kleinsten Detail. Seien es Schlafplätze für die Gefangenen, die gefängnisinternen Märkte, auf denen frisches Obst und Gemüse angeboten wird, Sportveranstaltungen, auf den Basketball- und Tennisfeldern, religiöse Aktivitäten in den Gotteshäusern verschiedener Religionen und Konfessionen, oder Kunst- und Musikveranstaltungen auf der mit Grünflächen bestückten Plaza, die als Mittel- und Treffpunkt des Gefängnisses gilt.

Ich denke hiermit wird deutlich, dass es an Freizeitangeboten nicht fehlt, wenn da nicht dieser eine Haken wäre: Geld! Nur wer Geld hat, kann gut überleben, denn ansonsten ist man auf die kleinen Gefängnisrationen und sogenannte „Drecksarbeiten“ angewiesen. Unsere Freunde sagen, dass sie mit dem normalen Essen allein hungern müssten. Daher kochen sie für sich selbst. Auf dem Markt gibt es ja alles zu finden! Obwohl Handys und Fotokameras verboten sind, haben doch einige Insassen zumindest ein Handy. Die Gefangenen schreiben eben ihre eigenen Gesetze und scheinbar ist das in Muntinlupa kein Problem, sondern verhilft eher zur Entspannung der gesamten Lage. Die Gefangenen haben nicht wirklich das Gefühl hinter Gittern zu sein, sondern eher in einer kleinen Stadt. Dank der Offenheit der Gefängnisleitung haben wir als Missionare Zugang zu allen Orten auf dem Gelände.
Neben Muntinlupa haben wir unser Apostolat im Navotas Gefängnis. Dieses ist bei weitem nicht so groß und auch nicht so gut organisiert. Im Gegenteil: Rund 400 Insassen, von denen ca. 40 Frauen sind, teilen sich sechs Zellen. Die Männer teilen sich vier Zellen, die je 32 Quadratmeter groß sind, und leben unter grausamen Bedingungen mit um die 90 Gefangenen in einer einzigen Zelle. Privatsphäre gibt es in keiner Sekunde. Ihr gesamtes Hab und Gut verstauen sie in einer kleinen Plastikbox (5 l Volumen). Die Insassen müssen bei Regenwetter in Pfützen schlafen und sind einer absolut unhygienischen Umgebung ausgesetzt. Im Gegensatz zu Muntinlupa geht es hier unmenschlich zu!

Wir besuchen den 24 Jahre alten Julius, der vor ca. drei Jahren ähnlich wie Edgar unschuldig von der Polizei auf der Straße aufgegriffen worden ist und nun des Mordes angeklagt in Untersuchungshaft sitzt. Sein Fall ist deshalb so erschreckend, da Julius selbst den Fall und den wahren Mörder kennt. Aber nicht nur er allein, sondern auch andere seiner Freunde wissen Bescheid. Julius gehörte nämlich einer Jugendbande an und einer seiner Freunde hatte diesen Mord begangen. Dieser ist jedoch der Sohn einer bekannten lokalen Politikerin, die unter allen Umständen versucht, einen anderen „Sündenbock“ für den Fall zu finden. Julius scheint der Leidtragende zu sein. Seine Hoffnung auf die Aussagen seiner Freunde, die den Mord gesehen haben, ist vergebens. Zu groß ist ihre Angst im Falle einer Aussage selbst Opfer zu werden. Julius kann und will diese Ungerechtigkeit nicht dulden. Dank der Bemühungen eines Wohltäters hat Julius die Chance auf einen „guten“ Anwalt und ein wirkliches Gerichtsverfahren. In den drei Jahren ist es nun zu sieben richterlichen Anhörungen gekommen, bei denen weder wichtige Zeugen noch der Arzt, der die Leiche obduzierte, erschienen sind. Es ist mir unverständlich, wie so etwas möglich ist. Während ich an der Justiz zweifele, sieht Julius dennoch alles positiv und ist sich gewiss der Auffassung, dass er nach der nächsten Anhörung freigesprochen wird, weil dann der Arzt aussagen werde und sich herausstellt, dass seine Fingerabdrücke nicht an dem Toten festzustellen sind. Julius´ Angaben nach habe sein Freund den Mord mit einem Metallstab, der mit einem Haken versehen war, begangen. Es ist unglaublich, wie klar die Fakten sind, und wie unklar doch die Wahrscheinlichkeit auf einen Freispruch. Selbst die Anwälte spielen ihre Rolle im Justizapparat und wagen aus Angst um ihre eigene Person nicht zu viel. Julius hofft und betet weiter, dass er nicht länger in Gefangenschaft verharren muss. Sein größter Wunsch momentan ist eine Freilassung noch vor April, denn dann schließt seine kleinere Schwester Indai ihr Studium zur Lehrerin ab. Auf der Feier dazu möchte Julius anwesend sein. Wir werden sehen...


Liebe Paten,

in diesem Patenbrief habe ich die Realität beschrieben, wie ich sie bei unseren Apostolaten in den beiden Gefängnissen erlebe. Nicht selten höre ich von hohen Politikern, die mit aller Macht versuchen, die Justiz zu beeinflussen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Polizei den vielen ungeklärten Mordfälle nicht nachkommen kann und durch die Festnahme Unschuldiger versucht, die Akten als erledigt bei Seite zu legen. Beliebte Opfer dieser Willkür sind Leute aus finanziell schwachen Verhältnissen, weil sie sich keine gute Verteidigung leisten können. Ich denke, dass Ihnen/euch diese Vorgehensweise der Justiz zu denken gibt. Um nicht daran zu verzweifeln, sollten wir im Vertrauen auf Gott das Wesentliche tun:
Lasst uns beten als Weg in die Freiheit!


Herzliche Grüße,


Claas Lukas Suermann

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