Eine Familie für meine Familie
von Frédéric Eymeri
Ein Text aus „D'un Points-Coeur à l'autre", Nr. 58, September 2007 der Zeitschrift von Points Coeur --> übersetzt von Dorothee und Johannes Walter DANKE!!!
Jedes Jahr verbringen die Mitglieder der Gemeinschaft „St. Maximilian Kolbe" („FratMax") einige Ferientage zusammen: Es ist eine Zeit des gemeinsamen Lebens, des Ausruhens, der Freundschaft und der Freude. Aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der FratMax fanden die Gemeinschaftsferien diesmal in den polnischen Karpaten, der Hohen Tatra, statt.
Schon seit 2 Wochen zählt Paul, 4 Jahre, an seinen Fingern die Tage, die uns noch vom "großen Aufbruch" trennen. Heute ist der letzte Finger dran. Das Gepäck ist im Auto und wir warten auf Helene, die mit uns fahren wird. Diese Nacht steigen wir ins Flugzeug. In unseren Herzen
macht sich eine leichte Unruhe und große Aufregung breit. Haben wir nichts vergessen? Wie werden wir untergebracht sein? Im Auto fragt mich Paul zum hundertsten Mal: „Warum sprechen die Leute in Polen nicht wie wir?" Helene versucht eine Erklärung. Mit der ganzen Aufmerksamkeit seiner zwei Jahre hört Noel zu, ohne etwas zu verstehen. Paul bleibt bei seiner Frage, Anne- Laure kämmt ihre Haare. Ich lenke den Wagen Richtung Autobahn. Fünf Stunden später kommen wir in Vieux-Moulin (Oise) an, am Treffpunkt der Mitglieder der Fraternität Maximilian Kolbe für diesen Aufbruch in die Ferien.
Anne-Laure, meine Frau, und ich haben uns vor fast einem Jahr der Gemeinschaft Maximilian Kolbe angeschlossen. Helene ist schon länger dabei.
Als Antwort auf den Wunsch ehemaliger „Freunde der Kinder", in ihrem täglichen Leben das Charisma von Points-Cœur leben zu können, schlug P. Thierry de Roucy ihnen vor, eine „Gemeinschaft Maximilian Kolbe" zu gründen (frz. Fraternité Saint-Maximilian-Kolbe), die allen offen steht. Heute existiert die Fraternite Saint-Maximilien-Kolbe in Argentinien, auf den Philippinen, in Salvador, in Kolumbien, in Peru und in Frankreich und umfasst Mitglieder aus allen Lebensständen.
Wir waren angezogen vom Charisma des Werkes Points-Coeur, wir nahmen die Veränderungen wahr, die die Zugehörigkeit zu Points-Cœur im Leben uns nahe stehender Paare und Freunde bewirkt hat… Wir wollten auch in diese „neue Art zu leben" eintreten und uns erziehen lassen durch alles, was unseren Alltag ausmacht. Alles, was wir leben, bei der Arbeit oder in der Familie, in den Beziehungen zu den Nachbarn oder der Art zu kochen, bekommt nach und nach mehr Sinn, eine neue Würde, ein wachsende Intensität. Das hatte ich bereits wahrgenommen; aber noch nie hatten wir an den Ferien der FratMax teilgenommen…
Nach einer kurzen Nacht, nach zwei Stunden Einchecken und eineinhalb Stunden im Flugzeug stehen wir auf dem Heimatboden unseres Schutzpatrons. Nun noch ein paar Stunden Busfahrt bis zu unserem gemeinsamen Feriendomizil: Ich setze mich zu den Kindern und versuche, ihre Aufregung etwas zu dämpfen, indem ich ihnen Geschichten erzähle. Sie beruhigen sich ein wenig, und ich schlafe ein. Begeisterte Rufe wecken mich wieder auf: „Schau! Wie schön!" Wie in einem Bilderrahmen erscheint im Busfenster eine wundervolle Landschaft mit blauen Bergen. Im Vordergrund ziehen Häuser, ganz aus Holz, vorbei.
Sie scheinen die natürliche Verlängerung der unermesslichen Fichtenwälder zu sein. Wir fahren an einer Kirche vorbei - auch sie ganz aus Holz. Wie wunderschön! Wir sind in Koscielisko. Der Bus hält vor unserem Haus, und das offenherzige Lächeln unseres Gastgebers empfängt uns. Die Kinder ergreifen sofort Besitz vom Sandhaufen, der für sie im Hof liegt.
Jeder schnappt seine Koffer und entdeckt sein Zimmer. Das Leben hier läuft schon an… Vom kleinen Balkon aus, der zu unsrem Zimmer gehört, schweifen meine müden Augen über die unermesslich weite Landschaft. Meine Erwartungen sind wirklich übertroffen worden.
Ein ganz einfaches Leben
Ein bunter Haufen, unsere vierzig Personen, die hier gemeinsam die Ferien verbringen! Alle Altersgruppen sind vertreten, alle Lebensstände, verschiedene Nationalitäten. Manche fahren seit zehn Jahren auf diese Weise in Urlaub, andere sind zum ersten Mal dabei. Das ist auch mein Fall, einige Gesichter sind mir noch völlig unbekannt. Die gemeinsamen Mahlzeiten verlaufen sehr fröhlich, und die Kochkunst von Frau Swieliska findet allgemeine Anerkennung. Ihr Mann serviert uns die Gerichte auf dem Teller und mit einem Lächeln, das ihn bestimmt nie verlässt. Mehrere Aktivitäten sind im Verlauf der Ferientage vorgesehen, für jeden ist etwas dabei: Kutschfahrten, Bergwanderungen, eine Floßfahrt mit traditionellen Flößen, Mountainbiketouren, verschiedenste Besichtigungen und Spaziergänge füllen unsere Tage aus. Die Möglichkeit, einfach Siesta zu machen, besteht ebenfalls - und ich gestehe, diesen „Programmpunkt" ein paar mal angekreuzt zu haben… Für die Eltern, die sich auch einmal füreinander Zeit nehmen wollen, stehen Babysitter zur Verfügung. Und am Abend gibt es gemütliche Skatrunden, Filme und verschiedene Überraschungen (eine Verkostung der regionalen Wodkaspezialitäten bleibt in bester Erinnerung).
Die vielfältigen Angebote erstaunen uns, umso mehr als das begrenzte Budget für diese Ferien - trotz großer Anstrengungen der Gemeinschaft,im Vorfeld finanzielle Mittel aufzutreiben und alles bestmöglich zu organisieren – uns nicht so viel Komfort erwarten ließ. Zudem erlaubt uns die Gegenwart von Pater Guillaume den täglichen Besuch einer Heiligen Messe, mit Begeisterung singen wir gemeinsam die Laudes und Vesper, und sowohl für Kinder als auch für Erwachsene werden Vorträge angeboten.
Ein innerer Pilgerweg
Der Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz ist der zentrale Programmpunkt der Ferien.
Eine Pilgerfahrt, die uns an einen „Ort des Grauens, einer Anhäufung von Verbrechen gegen Gott und den Menschen, ohne Parallele in der Geschichte" führt, und gleichzeitig an einen Ort der schönsten Geste, des größten Geschenks, der größten Liebe. Ein Ort der größten Freiheit: ein Mensch gab sein Leben für einen anderen Menschen. Der gleiche Geist, der vor 66 Jahren den inhaftierten Maximilian Kolbe im Keller von Block 14 gestärkt hat, lädt uns heute ein, die Umstände seines Opfers immer mehr kennen zu lernen. Was uns an diesen Ort zieht, ist nicht eine ungesunde Neugierde, eine Neigung zum „Dolorismus" oder ein Geschmack am Morbiden. Was uns auf die Spuren von Pater Maximilian Kolbe führt, ist der Durst nach der gleichen Freiheit, ist das Verlangen, von dem selben Mit-Leiden zu brennen, das ihn dazu getrieben hat, mitten im Herzen dieser Menschenverneinung mit seinem Blut das Wort LIEBE zu schreiben. Wie viele haben wohl auf diese Weise die gnadenlose Logik dieser Konzentrationslager in eine Quelle des Lebens umgewandelt? Etty Hillesum, Teresio Olivelli, Stefan Wincenty, Kazimierz Grelewski, Paul Schneider, Edith Stein, Karl Leisner… das sind nur einige der Namen, die Benedikt XVI.: „An diesem Ort des Grauens", Rede in Auschwitz am 28. Mai 2006 uns überliefert sind, aber sie sind Legion, diese Unbekannten - Freunde Nachbarn, Brüder, Mütter… - die im Schrecken ihres Alltags dort bezeugt haben, dass nichts dem Menschen seine Würde entreißen kann.
Wir lassen uns von diesem Ort belehren, wo „eigentlich nur eschütteres Schweigen stehen [kann] - Schweigen, das ein inwendiges Schreien zu Gott ist: Warum hast du geschwiegen?
Warum konntest du dies alles dulden?
In solchem Schweigen verbeugen wir uns inwendig vor der ungezählten Schar derer, die hier gelitten haben und zu Tode gebracht worden sind; dieses Schweigen wird dann doch zur lauten Bitte um Vergebung und Versöhnung, zu einem Ruf an den lebendigen Gott, dass er solches nie wieder geschehen lasse."
Ich lasse im Lager von Auschwitz einen Teil meiner Naivität zurück, ein paar Tränen, die auf diese kleine zerbrochene Kinderpuppe fallen, die dort ausgestellt ist, ein stiller Zeuge dafür, dass nichts, nicht einmal die Unschuld, ein Herz zu Mitleid rühren kann, das der Hochmut und die Ideologie gepackt haben. Aber ich nehme auch eine Hoffnung mit, die so zerbrechlich und gleichzeitig so mächtig ist wie die kleine Flamme, die die Geschichte der Menschheit
durchquert und die dort im Keller jenes Blocks brennt, in dem der Pater Kolbe gestorben ist.
Eine umwerfende Erkenntnis Wunderschöne Erinnerungen an den angenehmen Aufenthalt, die einzigartigen Aktivitäten, an das Lachen und die Lieder, an die schöne Landschaft, an der sich meine Augen ausruhen können… Dennoch ist es vor allem die Einfachheit dieser Tage, die mein Herz berührt.
Wir feiern die Messe unter freiem Himmel. Ein leichter Wind lässt die Blätter der Bäume leise singen. An diesem späten Vormittag verbreitet die Sonne ein ruhiges Licht. Ihre Wärme ist nur leicht zu spüren. Ein Vogel durchquert den Himmel, in der Ferne arbeiten Menschen.
Alles nimmt an der Liturgie teil, ohne dass eine einzige falsche Note meine Sinne stört. Der Augenblick ist zauberhaft, ich lasse mich von ihm tragen, und alles richtet sich auf den Altar hin aus. Ein paar Meter weiter spielen Kinder, ohne Lärm zu machen. Ich sehe Silouane und Paul durchs hohe Gras laufen. Gestern kannten sie sich noch nicht. Zusammen sind sie acht Jahre alt. Langsam entfernen sie sich. So viel Absichtslosigkeit auf der Erde der Menschen erstaunt mich. Die Stille und die Lieder der Messe umgeben ihre Freundschaft, die gerade beginnt. Sie lachen. Nur Kinder können so lachen. Sie lachen, und ich weine vor so viel Schönheit. Sie tanzen. Christus steigt auf den Altar herab und nimmt den ganzen Lärm des Unnützen hinweg. Alles ist plötzlich so einfach! Die Hände des Priesters, die Hostie, die sich in den Himmel erhebt, die Kinder, die im Gras spielen, wie man im Himmel spielt, der Vogel, der ihn wie einen Garten durchquert, der ganz nah liegt…
Dann rührt sich nichts mehr. Trotzdem ist alles so intensiv! Mein Herz kommt zur Ruhe und zugleich zur Quelle aller Aktivität. Jede Anstrengung, die nicht dort ihren Anfang nimmt und ihr Ende findet, ist vergeblich…
Der Klang eines Liedes holt mich wieder zurück. Um mich herum sind Gesichter, die beten. Sie sind schön. Mein Herz ist voll von Dankbarkeit gegenüber jedem einzelnen. Ich liebe Euch schon so sehr!
Nach der Messe strecke ich mich auf der Wiese aus. Noël kommt zu mir und plappert „Papa, Papa,…" Alix sitzt neben mir, sie spricht mit ihm: „Weißt Du, Noël, der da, das ist Dein Papa. Mit Mama und Paul zusammen ist das Deine Familie. Und die andern Leute da, siehst Du, das ist die Vergrößerung Deiner Familie. Das ist die Familie Deiner Familie…"
Die Worte von Alix berühren mich. Niemals zuvor habe ich mir diese Tatsache klar gemacht. Solche einfachen Worte, an ein kleines Kind gerichtet, waren nötig, damit ich erkenne: Diese Gemeinschaft, diese Gesichter da, das ist die Familie meiner Familie! Der Schatz dieser Freundschaft ist nicht nur ein Geschenk für diese zehn Tage Ferien oder für ein paar Einkehrtage. Sie sind wie eine Verlängerung meines Körpers, ein ganz einfacher Weg, um das Dasein zu durchqueren, ein Ort des Lebens und der Erziehung für meine Kinder, meine Frau und mich! Sie sind die konkrete Gegenwart Christi. Der Weg des Heils, der sich vor mir öffnet, der Weg der Heiligkeit, den mir die Kirche anbietet, der Platz, den mir Points-Cœur gibt, wie ein Boot, mit dem ich jeden Augenblick zum anderen Ufer fahren kann.
Die „Ferien der FratMax"
Die Freundschaft ist ein ganz einfacher Weg hin zu Christus. Die alljährlichen Ferienwochen der verschiedenen „Gemeinschaften Maximilian Kolbe" stehen unter dem Zeichen dieser Einfachheit. Hier sind einige Gedanken, die uns bei der Gestaltung dieser Erholungszeit leiten: Zuallererst handelt es sich um echte Ferien, deshalb ist es wichtig, eine entspannende, erholsame Umgebung auszusuchen - normalerweise in der freien Natur - mit einem ausreichenden Komfort (Vollpension hat sich als wirklich nötig herausgestellt). So führten die letzten französischen „Vacances FratMax" in die Regionen Cantal, französische Alpen, Sainte-Baume (Provence), Gironde, Bretagne…
Eine ausreichend breite Palette an Aktivitäten sorgt dafür, dass jeder auf seine Kosten kommt. Hier hat sich seit 10 Jahren eine bunte Mischung bewährt, bei der für junge und weniger junge Leute, große und kleine Kinder, Teilnehmer vom Typ „Gipfelstürmer" bis „Hängematte" gleichermaßen etwas dabei ist.
Dennoch haben die Ferien auch den Charakter von geistlichen Einkehrtagen, einige Vorträge sind vorgesehen im Laufe der Woche. Die Heilige Messe und der tägliche Gesang der Psalmen erlauben denen, die das wollen, wieder aufzutanken und den geistlichen „Roten Faden" ihres Lebens nicht zu verlieren (wie das in der Sommerzeit öfters der Fall ist). Hier ist auch die Zeit, in der man lernen kann, sich wirklich zu erholen. Das geschieht nicht so sehr, während ich mich am Strand breit mache und der Sand durch meine Zehen rieselt, sondern viel eher, wenn ich dem begegne, wozu ich geschaffen bin. Wenn mein Blick sich in der großartigen Weite einer
schönen Landschaft verliert, kann ich mich wirklich erholen… Die Erholung meiner Augen, das ist die Schönheit!
Dieses Jahr hat die Fraternité Maximilien-Kolbe aus Frankreich anlässlich ihres zehnjährigen Jubiläums entschieden, nach Polen zu fahren, auf den Spuren ihres Namenspatrons. Die Idee wurde vor einem Jahr - während der letzten Ferien - geboren. Der Rest war ein langer Reifungsprozess, damit das Projekt Gestalt annahm: Finanzielle Mittel organisieren, Informationen einholen, Logistik und Recherche vor Ort…
Ein enormer organisatorischer Aufwand - besonders von Sophie-Wanda - und eine gute Prise Vertrauen haben es 44 Teilnehmern (inkl. Kinder) ermöglicht, das Flugzeug zu nehmen und diese zehntägigen „Pilgerreise-Ferien" zu erleben.
ENTNOMMEN AUS: „D'un Points-Coeur à l'autre", Nr. 58, September 2007