Freitag, 29. Februar 2008

Class Lukas 1. Patenbrief Oktober 2007

Point-Coeur Santa Clara
Claas Lukas Suermann
Manila/Philippinen Patenbrief Nr. 1

Oktober 2007Liebe Familie, Freunde und Bekannte,

Liebe Paten,

“Haltet nicht nach großen Dingen Ausschau, tut einfach kleine Dinge mit großer Liebe...
Je kleiner die Sache ist, umso größer muss eure Liebe sein.”
(Mutter Teresa)

Mit diesen Worten beschreibt Mutter Teresa in ihrem Buch den Missionsauftrag, den sich Points-Coeur/Offenes Herz, d.h. den wir uns zu Herzen nehmen. In diesem Patenbrief möchte ich deutlich machen, dass ihr/Sie alle ein Teil meiner Mi
ssion seid/sind. Patenschaft bedeutet vor allem Verbundenheit und Anteilnahme. Daher freue ich mich sehr, dass ich im Folgenden meine ersten Eindrücke und Erlebnisse wiedergeben darf, sodass auch ihr/Sie in meiner Heimat den Weg mit mir gemeinsam gehen könnt/können.

Die ersten zwei Monate im Viertel Dagat Dagatan der Stadt Navotas im Nordwesten der Metropole Manila waren sehr ergreifend. Ich habe sowohl Höhen und Tiefen durchlebt, Momente purer Freude und tiefer Verzweiflung. Wenn ich nun hier sitze und entspannt meinen Patenbrief schreibe, mag ich kaum glauben, was mich vor kurzem noch in heller Aufruhe gehalten hat. Wir begegnen nahezu täglich tragischen Schicksalen und versuchen möglichst hilfreich zu sein. Ich habe mir oft die Frage gestellt: “
Was sollen wir nun tun? Gibt es denn gar keine Lösung?” Die Antwort habe ich dann letztendlich in den Worten Mutter Teresas gefunden, mit denen ich dieses Schreiben eröffnet habe.

Wir leben in der Gemeinschaft in einem Haus mitten im Elendsviertel und können somit rund um die Uhr im Dienste der Armen stehen. Jeder einzelne der Gemeinschaft hat spezielle Fähigkeiten, die er oder sie dem Ganzen beitragen kann.
 Es ist eine Besonderheit, dass wir eine multikulturelle Gemeinschaft sind. Wir sind insgesamt vier Mitglieder aus vier verschiedenen Ländern. Olivier, 30, kommt aus Indien und hat sein Priesterseminar beendet. Er wartet nun auf seine Priesterweihe und ist mein Zimmergenosse. Außerdem leben noch die Französin Pascale, 20, und Ulrike ,28, aus Italien mit uns zusammen. Pascale plant Lehrerin in einer Behindertenschule zu werden, und Ulrike ist bereits seit zwölf Jahren Krankenschwester. Eine vielversprechende Mischung also! Ich für meinen Teil möchte nach diesem Jahr ein Jurastudium beginnen und habe nun die Möglichkeit vor Ort im Bereich der Menschenrechte erste Erfahrungen zu samm
eln. Ich bemühe mich jedem Menschen, der mir begegnet mit offenem Herzen entgegenzutreten.

Oft kommen Kinder zu uns, damit wir mit i
hnen reden, aber vor allem, damit wir ihnen zuhören. Unsere Krankenschwester hat 24 Stunden Bereitschaftsdienst, denn häufig kommen Nachbarn, um sich ihre kleinen oder auch größeren Wunden verarzten zu lassen. Wir anderen dürfen natürlich auch manchmal Doktor spielen. Soweit dies möglich ist.
Ferner pflegen wir die Tradition, an Geburtstage
n unserer Freunde ein besonderes Abendessen zu kochen. An solchen Tagen gibt es für das Geburtstagskind und zwei seiner Freunde Spaghetti. Besonders die Kinder mögen dies sehr gern und wir freuen uns auch bei solchen Essen einmal ganz persönliche Zeit mit den jeweiligen Gästen zu verbringen. Ansonsten ist es nämlich schwierig, da immer viele Kinder und Jugendliche um uns herum sind.
Im Weiteren werde ich eine kurze Beschreibung eines regulären Tagesablaufs geben:

6:30 Uhr: Aufstehen, manchmal auch etwas später =)

7:00 Uhr: Morgengebet

7:30 Uhr: Frühstück
8:30 - 12:30 Uhr: In diesem Zeitraum steht jedem eine individuelle Gestaltung des Morgenprogramms frei. In der Regel hat die Anbetung dort ihren festen Platz. Andere Dinge sind wahlweise Wäsche waschen, Kochen, Putzen, Visumsangelegenheiten lösen, Lesen, Internet oder unvorhergesehene Besuche.
14:30 Uhr: Rosenkranzgebet mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsen, die gerne kommen.
Im Anschluss daran teilen wir vier uns in zwei Gruppen auf. Zwei von uns bleiben Zuhause und spielen mit den Kindern und die anderen beiden gehen oder fahren zu den verschiedenen Apostolaten, den Besuchen außerhalb.
18:00 Uhr: Messe in unserer Pfarrei San Lorenzo Ruiz
19:30 Uhr: Abendgebet

20:00 Uhr: Abendessen; oft helfen uns Kinder beim Zubereiten

21:30 Uhr: Tagesabschlussgebet mit anschließender Anbetung
Ich persönlich nutze die Zeit in den späten Abendstunden, um mich von dem hartnäckigen Schmutz zu befreien. Aufgrund der vielen Abgase und des ständigen Regens, sowie dem damit verbundenen Pfützen, ist eine Abenddusche nahezu unausweichlich. Meist schließe ich meinen Tag mit einer Lektüre ab, sodass ich gewöhnlich erst nach Anbruch des nächsten Tages zu Bett gehe.
Anhand der fett-kursiv-gedruckten Worte wird unser wichtigster Bestandteil der Mission deutlich, d.h. das treue Gebetsleben. Mittels diesem soll uns die nötige Kraft für unsere Wort- und Tatverkündigung dem Beispiel Jesu nach gegeben werden. Konkret heißt dies, dass wir den Menschen, unseren Freunden sowohl mit unseren einfühlsamen, tröstenden Worten als auch mit unserem Wirken bei Seite stehen. Am besten kann man dies verstehen, sobal
d man sich einige reelle Beispiele aus den Apostolaten zu Gemüte führt.

Die Apostolate finden gewöhnlich am Nachmittag statt. Nur unser Apostolat am Fi
schereihafen ist auf den Abend festgelegt. Die meisten unserer Apostolate führen wir wöchentlich einmal durch. Ein Apostolat ist ein Besuch in diversen Familien des jeweiligen Viertels. In dieser Zeit versuchen wir durch unsere einfache Gegenwart, Freude bei unseren Freunden zu erzeugen. Wir wollen Ihnen die Möglichkeit geben, ausgelassen zu kommunizieren und sind bereit sowohl Freude als auch Leid 
mit ihnen zu teilen. Es ist eine seelsorgerische Tätigkeit, die sich in unseren Apostolaten äußert. Dies bezeichnen wir in unserem Werk als “Mit-Leiden”, eine Geste der einfachen Liebe und Zuwendung. In den folgenden Zeilen findet ihr/finden Sie eine Auflistung der einzelnen Apostolate:
Looban: hier besuchen wir jeden Sonntagnachmittag unsere Nachbarn. Viele nutzen den Sonntag allerdings nicht um ihn im Kreise der Familie in Ruhe zu genießen, sondern eher um mit Freunden Bier oder Branntwein zu trinken.
Tabinilog: Ein Viertel entlang des ins Meer mündenden Flusses, das daher oft unter der Flut zu leiden hat. Zudem befindet sich dort auch unser Markt, von dem wir unsere täglichen Speisen frisch einkaufen. Eine besondere Freude war die Hochzeit unserer Gemüsehändler, die nachdem sie elf Jahre zusammen leben und drei Töchter haben, geheiratet haben. Die Hochzeit war morgens und am Abend standen sie schon wieder auf dem Markt und haben Gemüse verkauft.
Market Three: Ein Slum ganz nah am Hafen mit vielen Familien, die in ihren kleinen Blech- und Holzhütten hausen und sich durch den Schlamm von A nach B bewegen. Es wimmelt hier nur so vor Mücken und ich frage mich, wie doch so viele Bewohner gesund sein können. Lichtblicke in dem Viertel sind Indai, eine junge Frau, die sehr intelligent ist und mit einem Stipendium von der Pfarrei zur Lehrerin ausgebildet wird. Oder die kleine achtjährige Mary-Joy, die nun endlich nach vielen Jahren das Laufen gelernt hat, weil sie nie aufgegeben hat, gegen ihre Gleichgewichtsstörung und Behinderung zu kämpfen.
Marcello: Ein semilegales Hüttenviertel, dass in naher Zukunft aufgrund eines Straßenbaus dem Erdboden gleich gemacht werden soll. Auch hier findet man viele Beispiele, die nennenswert sind. Da wären der kleine Behinderte Christopher, der oft krampft und von dessen Gesicht dennoch oft ein strahlendes Lächeln zu vernehmen ist, oder der schon ältere Herr Eddy, der eins seiner Beine verloren hat, und dem Points-Coeur zu einer Prothese verholfen hat. Er lebt alleine mit seiner Frau und gemeinsam verdienen sie sich ihren Lebensunterhalt durchs Müllsammeln, den sie anschließend wieder verkaufen.Vitas: Auf dieser Müllhalde leben rund 5000 Menschen. Hier habe ich wohl so viele Kinder gesehen, wie noch nie zuvor in meinem Leben an einem Ort. Sie spielen mit Barfuß im Müll und denken nicht einmal daran sich zu ekeln, während wir mit unseren Gummistiefeln unsere Besuche abstatten.

Unter der Brücke: wie man den Worten schon entnehmen kann, wohnen die Menschen hier unter einer Brücke. Sie haben ihre Holzkonstruktionen mit Seilen an der Brücke befestigt. Bei Hochwasser oder großer Hitze schlafen sie auf der Brücke. Die meisten von ihnen sind Fischer und freuen sich wenn sie uns mit aufs Meer nehmen dürfen, damit wir Anteil an ihrer Arbeit haben und sie uns mit einem Wellenritt Spaß verschaffen können.

Fischereihafen: Auf dem Weg zum Fischereihafen gewinnen wir wöchentlich neue Eindrücke. Wir sehen Leute, die mit Dreirädern die schönsten und buntesten Fische zu ihren Marktständen transportieren. Leute, die einzelne Fische auf der Straße verkaufen. Kinder, für die wir eine Attraktion sind und für die ein Treffen mit uns von großer Bedeutung ist; die sich freuen, wenn wir mit ihnen ein Lied singen oder sie uns ihre Englischkenntnisse präsentieren dürfen. Zudem sieht man hier am Straßenrande nicht selten Frauen, die ihre Dienste anbieten. Die Behausungen der Menschen sind aus Holz und ihr Dach ist oft nichts anderes als eine einfache Plane.

Tayuman: Jeden Dienstagnachmittag gehen wir zu den Missionaries of Charity, vielleicht besser bekannt als die Schwestern von Mutter Teresa, um dort ihr Kinderheim zu besuchen und Momente der Freude mit den Kindern zu haben. Die ganz Kleinen füttern wir und mit den etwas älteren Kindern spielen wir. Alle Kinder, die dort sind, waren einmal so krank, dass ihre Eltern es bevorzugt haben, sie den Schwestern zur Pflege zu überlassen.
Darüber hinaus bieten die Schwestern auch einen Medikamentendienst an, d.h. dass man mit bestimmten Rezepten vom Arzt und fehlenden finanziellen Mitteln dort kostenlos Medikamente erhält. Oft begleiten wir einige unserer Freunde dorthin. Besonders wichtig ist dieser Dienst der Schwestern für Tuberkuloseerkrankte, deren medizinische Behandlung bis zu sechs Monaten dauert. Die Schwestern haben ebenfalls ein Seniorenheim, in dem ich persönlich aber noch nicht war. Vielleicht gibt es darüber in Zukunft zu berichten.

Das waren die Apostolate, die wir gewöhnlich wöchentlich machen. Nun folgen noch weitere:

Obdachlose: Gelegentlich besuchen wir Obdachlose, die im Touristenviertel Malate auf der Straße leben und sich durch den Verkauf kleiner Waren ernähren. Eine Philippinin namens Jane, die ehrenamtlich für Points-Coeur/Offenes Herz tätig ist, stattet ihnen regelmäßige Besuche ab und sorgt für ihr gesundheitliches Wohl.

Muntinlupa Jail: Ein Gefängnis für Schwerverbrecher. Bis 2001 wurde hier auch noch die Todesspritze verabreicht. Einmal im Monat besuchen wir die Gefangenen und verbringen den Nachmittag hinter Gittern. Ich war bisher einmal dort und war recht positiv überrascht. Zwar klagten die Gefangenen über Folter und Mangel an Essen, jedoch war zumindest der Innenhof mit vielen Grünflächen und Freizeitmöglichkeiten gut gestaltet. Zudem hatte so ziemlich jede Konfession ihr eigenes Gotteshaus. Die Gefangenen haben sich über unseren Besuch gefreut und ob nun Mörder, Entführer oder Erpresser, wir sind alle Menschen und Gott liebt jeden einzelnen von uns gleichermaßen.

Es gibt noch ein Apostolat im Gefängnis von Navotas, das ich noch nicht kenne. Dort sollen die Begebenheiten für die Insassen unmenschlich sein. Mehr dazu später...

Bei all diesen Aktivitäten braucht auch ein Missionar mal eine Pause. Diese haben wir von Montagmittag bis Dienstagmittag bei dem irischen Orden der Columban Fathers. Hier können wir einen Tag in der Woche entspannen, mit anderen Missionaren reden und für einen Tag Dagat Dagatan und den Fischgeruch hinter uns lassen.

Anbei findet ihr/finden Sie noch zwei Fotos. Eins davon ist auf der Müllhalde in Vitas und das andere im Empfangsraum bei uns Zuhause, in dem wir mit den Kindern am Nachmittag beten und spielen.

Ich hoffe, dass ihr/Sie die ersten Informationen mit Freude aufgenommen habt/haben. In weiteren Briefen gibt es dann ausführlichere Informationen zu einzelnen Aspekten der Mission, des Gebetslebens, der Apostolate und anderer interessanten Informationen im Bezug auf die philippinische Kultur.

Abschließend danke ich euch/Ihnen für jede Art von Beistand und verbleibe mit einem herzlichen Gruß an die Heimat.

Im treuen Gebet und Gedanken verbunden,
Claas Lukas Suermann
PS: Ich freue mich auch über Rückfragen: ClaasLukas@gmx.de

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